Ein Satz, der in unserer Leistungsgesellschaft immer wieder zu hören ist: Du bist einfach nur faul. Und immer mehr Menschen sagen das auch zu sich selbst, weil das, was sie tun wollen und das, was sie dann tatsächlich tun, wenig miteinander zu tun hat.
Vielleicht kennst du das: Du sitzt vor einem Berg an Aufgaben, die du schon längst erledigen wolltest. Du weißt genau, dass du endlich anfangen solltest, aber du tust es nicht. Stattdessen wanderst du wie ferngesteuert zum Kühlschrank, schaust dir noch eine Episode auf Netflix an, scrollst durch Social Media oder lenkst dich mit allem Möglichen ab. Und irgendwann kommt diese Selbstverurteilung: “Ich bin einfach faul.”
Aber was, wenn genau das nicht stimmt? Was, wenn Faulheit gar nicht das Problem ist – sondern ein Symptom, das ganz andere Ursachen hat?
Prokrastination als Traumafolge
In dieser Episode zeige ich dir, dass hinter dem, was im Volksmund gerne als Bequemlichkeit und Faulheit bezeichnet wird, oft etwas ganz anderes steckt: Die Auswirkungen alter Traumatisierungen, die in Wahrheit eine Resignation oder Kapitulation gegenüber dem Leben sind.
Um zu verstehen, was Prokrastination, Resignation, Kapitulation oder im Volksmund ausgedrückt: Faulheit ist und was wir dagegen tun können, brauchen wir ein bisschen Neurobiologisches Verständnis.
Als Reaktion auf eine Bedrohung gegen unser Leben oder unsere Gesundheit stehen uns vier mögliche Reaktionen zur Verfügung, die wir aber nicht bewusst auswählen können. Diese Überlebensreaktionen wählt unser Unterbewusstsein für uns aus, ohne dass wir einen bewussten Einfluss darauf haben.
Auf Überlebensreaktionen haben wir genauso wenig Einfluss wie auf unsere Verdauung oder unseren Haarwuchs. Das wird zwar auch vom Gehirn gesteuert, aber wir haben keinen willentlichen Einfluss darauf.
Funktionsmäßig lässt sich unser Gehirn in viele verschiedene Bereiche und Strukturen unterteilen. Für unser Anliegen heute vereinfachen wir das auf zwei Bereiche.
Unser Bewusstsein
Alles, was wir bewusst empfinden, befindet sich im Frontallappen. Das ist der Sitz unseres bewussten Denkens und der Willens-Entscheidungen. In diesem Bereich des Gehirns findet unser “Ich” empfinden statt. Quasi alles, was wir als “Denken” und “Entscheiden” wahrnehmen, passiert im Frontallappen und auch alle bewussten, willkürlichen Bewegungen.

Im Frontallappen haben wir bewussten Einfluss auf emotionale Regulation. Hier entscheiden wir bewusst, wie wir auf Gefühle reagieren. Also die Fähigkeit mit Wut umzugehen, ohne dass wir jemanden unkontrolliert anschreien oder beschuldigen. Oder Angst kontrolliert zu fühlen, ohne hysterisch zu kreischen oder panisch davonzulaufen.
Im Frontallappen steuern wir auch bewusst unsere Sozialverhalten. Wie wir zwischenmenschlich agieren und entscheiden, was für uns moralisch und ethisch richtig ist und welche Werte für uns wichtig sind. Auch unser Humor und unser Lachen findet in diesem Bereich statt.
Ziele setzen und die Lebensplanung findet ebenfalls im Frontallappen statt. Das wie, wo und wann wir etwas machen.
Er ist quasi unser Navigationssystem, das uns durch das Labyrinth des zivilisierten Lebens führt.
Der Frontallappen – unser Bewusstsein ist zuständig für Planung, Organisation und Selbstkontrolle.
Wenn wir “faul” sind, wenn wir prokrastinieren, ist dieser Bereich des Gehirns mehr oder weniger abgeschaltet und es fehlt uns dadurch der Zugriff auf diese Fähigkeiten. Warum das so ist, zu dem, kommen wir jetzt.
Unser Unbewusstes
Das Unbewusste – also der Rest des Gehirns – macht alles, um uns am Leben zu erhalten. Es reguliert Grundfunktionen wie Verdauung, Atmung, Kreislauf, Reflexe, usw. Es steuert unsere unbewussten Bewegungen wie Körpersprache und Mimik und generiert unsere Gefühle. Es findet im Grunde kein bewusstes Denken im restlichen Gehirn statt, sondern es basiert fast ausschließlich auf automatischen Abläufen. Man könnte es als Organ mit eigenständiger Intelligenz bezeichnen.
Gefahren- und Überlebensmechanismen
Im unbewussten Bereich unseres Gehirns befindet sich auch unser Labor für Gefahrenanalyse, also unser Schutz- und Sicherheitssystem. Unser Unterbewusstsein scannt permanent alles, was mit uns und um uns herum passiert auf potenzielle Gefahren.
In diesem Überwachungssystem befindet sich eine Art Rauchmelder:
Die Amygdala
Die Amygdala funktioniert ähnlich einem Rauchmelder. Wenn eine gewisse Anzahl an Rauchpartikeln in der Luft sind, dann geht der Rauchmelder los und schlägt Alarm.

Wenn eine gewisse Anzahl an Stresspartikeln im Gehirn eine Schwelle übersteigt, dann schlägt die Amygdala Alarm und geht los.
Die Amygdala schlägt nicht nur Alarm, sondern übernimmt auch gleich das Kommando. Sie entscheidet dann völlig autonom was weiter passiert. Die Amygdala aktiviert dann eine der vier Überlebensreaktionen. Sie entscheidet zuerst, ob die Gefahr aktiv zu bewältigen wäre oder nicht. Wenn die Amygdala glaubt es wäre aktiv zu bewältigen, dann aktiviert sie den Aktivmodus:
- Kampf
- Flucht
Wenn sie glaubt, aktiv ist nichts auszurichten, dann wählt sie den Passivmodus:
- Angst-Starre bis hin zu Ohnmacht
- Unterwerfung, Resignation
Jetzt ist wichtig zu verstehen:
Diese Reaktionen sind keine bewussten Entscheidungen. Das läuft ab wie Verdauen, Blutzuckerregulation oder Haare wachsen. Da gibt es keine willentliche oder logische Beeinflussung durch Denken.
Bewusstes Entscheiden passiert im Frontallappen. Der wird aber, sobald eben der Alarm losgeht, Großteils abgeschaltet. Uns fehlt dann der Zugriff auf bewusstes Denken, Entscheiden, Planung, Organisation und Selbstkontrolle.
Die Amygdala kann nicht unterscheiden zwischen tatsächlicher Gefahr oder imaginärer Gefahr. Genauso wie der Rauchmelder nicht weiß, ob es tatsächlich brennt oder einfach nur die Ente im Ofen gerade verkohlt.
Warum ist das so? Weil der Stress, den wir heute erleben, neu ist. 2 Millionen Jahre gab es keinen permanenten Leistungsdruck. Es gab nur kurzzeitigen Leistungsdruck. Die Amygdala ist ein automatisch programmierter Gehirnteil, der unser Überleben gesichert hat. Und sie weiß im Grunde sehr gut, welche Methode in welcher Situation dir größte Chance zum Überleben bietet.
- In welcher Situation Angriff die beste Option ist.
- In welcher Situation Flucht die beste Option ist.
- In welcher Situation Starre die beste Option ist.
- In welcher Situation Unterwerfung die beste Option ist.
Prokrastination, also Unterwerfung und Resignation entsteht, wenn wir unter permanentem Stress leiden. Es ist oft auch ein Vorläufer von Depressionen und Burnout.
Die dahinter liegende Ursache sind Traumatisierungen. Wobei: Das Trauma ist nicht ein Ereignis in der Vergangenheit, sondern aktuelle Fehlfunktionen im Gehirn, speziell eben auch in der Amygdala, aufgrund der traumatischen Erlebnisse. Diese Traumatisierungen müssen keine großen Katastrophen, Gewalt oder Missbrauch sein.
Es genügt, wenn:
- ein Kind unter ständiger Kritik aufwächst
- emotional vernachlässig wird
- nie das Gefühl hat, wirklich willkommen zu sein
- oder in einem Klima von Unsicherheit und Unberechenbarkeit aufwächst.
Das Nervensystem eines Kindes ist extrem empfindlich. Und wenn ein Kind über Jahre hinweg erlebt, dass es nicht sicher ist, wenn es seine Bedürfnisse sichtbar zeigt, hält die Amygdala Kapitulation und Prokrastination für eine gute Lösung.
Wenn unsere Amygdala dann Unterwerfung als Reaktion wählt, ist Prokrastination oder “Faulheit” die logische Schlussfolgerung.
Wenn wir uns jemanden unterwerfen müssen, dann heißt das, dass wir unsere Autonomie aufgeben müssen und nur noch das machen dürfen, was uns der Unterwerfende gebietet. Selbstständiges Handeln könnte als aufständisch ausgelegt werden und eventuell mit der Todesstrafe geahndet werden.
Daher ist es so schwer, das Handy aus der Hand zu legen und aktiv zu werden.
Warum Motivationstricks nicht helfen
Vielleicht hast du es schon mit Motivationstraining, Disziplin, To-Do-Listen, Morgen-Routinen oder ähnlichem versucht. Manche helfen für eine gewisse Zeit – aber meistens brechen sie nach kurzer Zeit wieder zusammen.
Der Grund ist einfach: Du versuchst, mit dem Frontallappen ein Problem zu lösen, das die Amygdala kontrolliert. Solange die tieferliegenden Traumata nicht gelöst sind, kämpfst du gegen ein System, das stärker ist als jede Willenskraft.
Das ist so, als würdest du, mit einem Fahrrad permanent bergauf fahren. Irgendwann bist du ausgebrannt und erschöpft.
Der Weg aus der Prokrastination
Du bist nicht für immer diesem Muster ausgeliefert. Dein Gehirn ist formbar.
Die meiner Meinung nach beste Methode das wirklich zu lösen ist: Trauma Heilung und das Innere Kind heilen. Ich verlinke dir hierzu das, meiner Meinung nach, beste Selbsthilfevideo, das es gibt. Link
Weiters kannst du noch folgendes tun:
Selbstmitgefühl entwickeln
Statt dich selbst als faul zu beschimpfen, bekenne dich zur Wahrheit und sag dir: „Mein Nervensystem ist überlastet. Es versucht, mich zu schützen.“ Diese Wahrheit nimmt schon etwas Druck raus.
Was für mich am besten geholfen hat, aus der Prokrastination zu kommen, ist Trampolin springen. Nach 5 bis 10 Minuten Trampolinspringen bist du automatisch wieder fit.
Also – bist du faul? Nein. Du bist nicht faul.
Du bist jemand, dessen Nervensystem gelernt hat, auf Sicherheit bedacht zu sein. Du bist jemand, der in der Kindheit vielleicht Situationen überstehen musste, die unsichtbare Spuren hinterlassen haben. Und dein Gehirn reagiert darauf – manchmal, indem es dich blockiert.
Aber diese Blockade ist kein Urteil für dein Leben. Sie ist eine Einladung, dich selbst tiefer kennenzulernen – und deinen Weg zu gehen: Raus aus dem Überlebensmodus, hinein ins volle Leben.
Alles Gute
Helmut
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