Heute geht es um Menschen, von denen du nicht gesehen und nicht wahrgenommen wirst. Die dich nicht als das wahrnehmen, was du bist: Ein fühlendes, denkendes, eigenständiges Wesen. Es geht um Menschen, die als Nahrung für ihr Selbstwertgefühl benutzen (wollen). Narzissten und ihre Ängste und Absichten.
Wenn du immer wieder Narzissten in dein Leben ziehst, dann hat das einen Grund. Einen Grund, der tief in deiner eigenen Geschichte verankert ist. Diesen Grund werden wir heute genau eruieren, aber etwas später. Denn zuerst müssen wir verstehen, was eigentlich im Kopf eines Narzissten vorgeht.
Die Angst hinter der Maske
Wir sehen uns an wie Narzissten funktionieren. Aber nicht auf die Art, wie du es vielleicht gewohnt bist. Wir reden nicht darüber, wie man einem Narzissten die Stirn bietet und ihm verbal oder brachial überlegen wird. Wir schauen nicht auf das, was sie tun, sondern WARUM sie es tun. Was ist die Angst hinter der Maske? Und was ist ihre wahre Absicht, wenn sie mit jemanden interagieren?
Stell dir vor, du lebst mit einer ständigen, brodelnden Angst. Nicht die Art von Angst, die kommt und geht, wie die Nervosität vor einer Präsentation. Nein, ich spreche von einer existenziellen Angst, die dein ganzes Sein durchdringt. Die Angst, dass es in jedem Moment “aus” sein könnte. Das ist die Welt eines Narzissten – Übrigens: ich verwende den Begriff Narzisst in diesem Beitrag Unisex.
Die größte Angst: Kontrollverlust
Ein Narzisst oder eine Narzisstin hat die größte Panik davor, dass er oder sie die Kontrolle verlieren könnte. Dass er plötzlich einer Situation gegenübersteht, die er nicht kontrollieren kann. Diese Angst ist nicht rational. Sie ist tief verwurzelt in der Kindheit. Und Narzissten kämpfen mit allen Mitteln, um die Kontrolle zu behalten.
Für einen Narzissten fühlt sich Kontrollverlust gleich an wie sterben. Sterben durch: Schuld, Scham und Wertlosigkeit.
Kannst du dir vorstellen, wie es wäre, jeden Tag mit diesem Terror zu leben, dass deine (gefühlte) Wertlosigkeit, Nutzlosigkeit und Bedeutungslosigkeit aufgedeckt werden könnte? Dass jemand hinter die aufgebaute, angeblich bedeutungsvolle Fassade schauen könnte!?
Für einen Narzissten ist das die Hölle. Und um diese Hölle zu vermeiden, entwickelt er eine nach außen hin perfide Strategie. Die aber aus seiner Sicht keine Strategie ist, sondern eine Notwehr, eine Verteidigung.
Du wirst zum Objekt
Es bedeutet: Ein Narzisst sieht dich nicht als eigenständige Person mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und einer eigenen Realität. Du bist in seiner Welt ein Ding. Er versucht dich, wie ein Ding wahrzunehmen. Wie einen Fernseher. Etwas, das er nach seinem Willen benutzen und kontrollieren kann.
Das klingt hart, oder? Aber das ist die Absicht von Narzissten:
Menschen von einem selbstbestimmten Subjekt, zu einem nur noch funktionierendem Objekt zu machen.
Und der Punkt, an dem es richtig perfide wird, ist: Dass Narzissten eine unglaubliche Intuition haben, Menschen zu Objekten zu manipulieren, ohne dass sie es merken. Deshalb sind sie so schwer zu erkennen.
Ein praktisches Beispiel
Lass mich dir ein praktisches Beispiel erzählen: Ein Narzisst diskutiert nicht mit dir, um zu lernen. Er diskutiert mit dir, um dich zu kontrollieren.
Denk mal darüber nach:
Hattest du schon einmal eine Diskussion mit einem narzisstischen Menschen, bei der du das Gefühl hattest, dass er wirklich interessiert wäre? Wo du das Gefühl hattest, dass er deine Meinung wirklich wertschätzt? Vielleicht hat er sogar gesagt: “Wow, das ist ein großartiger Punkt. Ich lerne wirklich viel von dir.” Und du hast dich in diesem Moment großartig gefühlt, gesehen, anerkannt, wertgeschätzt.
Was passiert danach?
Hier kommt das eigentliche, das hinterhältige Spiel ins Rollen. Der Narzisst tut manchmal so, als ob er wahnsinnig von dir lernen würde. Aber das gehört zu seiner Kontrollstrategie.
Das Wechselspiel
Jetzt beginnt das Wechselspiel zwischen Aufwertung und Abwertung.
Der Narzisst gibt dir manchmal in Diskussionen dieses unglaubliche Gefühl: “Du bist der Größte. Du bist so klug. Du verstehst es.” Er himmelt dich an. Er scheint von dir zu lernen. Und du? Du fühlst dich endlich gesehen, endlich verstanden.
Aber es ist nur eine Falle, um dich zu kontrollieren. Denn kurz darauf, vielleicht in derselben Diskussion oder ein paar Tage später, wirst du abgewertet. Plötzlich bist du falsch, dumm und klein. Derjenige, der nichts versteht. Der sich alles nur einbildet.
Und weißt du, was das Gefährlichste daran ist? Du merkst es oft nicht einmal. Du denkst: “Vielleicht hab ich wirklich was falsch verstanden. Vielleicht war ich zu sensibel.”
Du zweifelst an dir selbst, an deiner Wahrnehmung, an deiner Realität.
Und genau das ist der Punkt. Genau das ist das Ziel. Wenn du an dir selbst zweifelst, wenn deine Realität wackelig wird, dann kann der Narzisst deine Realität durch seine eigene ersetzen. Du wirst formbar. Kontrollierbar. Du wirst zum Objekt.
Der Überlebenskampf hinter der Fassade
Ich glaube aber, dem Narzissten ist das gar nicht wirklich bewusst, wie er das macht und was er macht. Er checkt nicht welchen Schaden er verursacht. Für den Narzissten ist es reine Notwehr. Die Notwehr, um seine “Ich Maske, seine Fassade”, die für ihn sein Leben ist, zu verteidigen. Es geht ihm nicht darum den anderen zu schaden, sondern um sein überleben, bzw. das Überleben seiner Fassade. Weil er selbst, wahrscheinlich von seinen Eltern, so mit Schuldgefühlen und Scham beladen wurde, dass er, um zu überleben, sich eine Fassade bauen musste, von der er glaubt, dass diese Fassade sein Leben wäre. Er verteidigt diese Fassade auch mit seinem Leben.
Dein Spiegel
Jetzt kommt der Teil, der vielleicht am schwersten für dich ist. Aber er ist wichtig. Unglaublich wichtig.
Wenn du immer wieder Narzissten in dein Leben ziehst, wenn du dieses Muster erkennst, dann ist das kein Zufall. Es ist kein Pech. Es ist nicht, weil du einfach zur falschen Zeit am falschen Ort warst. Es ist, weil du es kennst.
Menschen, die als Erwachsene mit Narzissten zu tun haben, hatten meistens einen oder sogar zwei narzisstische Elternteile. Das ist der Grund, warum sie Narzissten in ihr Leben projizieren, warum sie sie anziehen, und warum sie sie auch nicht sofort erkennen.
Das klingt vielleicht wie eine Anklage, aber das ist es nicht. Es ist das Gegenteil. Es ist die Erklärung. Es ist der Anfang des Verstehens.
Die Prägung aus der Kindheit
Als Kind eines narzisstischen Elternteils hast du gelernt, dass es Liebe und Anerkennung nur dann gibt, wenn du ein Objekt bist.
Es hat sich dadurch eine Überzeugung in dir entwickelt die dir ständig einflüstert: Zuwendung bekommt man nur, wenn man sich kontrollieren lässt. Ein Glaube, dass du nur dann einen Wert hast, wenn du die Bedürfnisse eines anderen erfüllst.
Du hast gelernt, deine eigenen Bedürfnisse abzuspalten und deine eigene Realität infrage zu stellen, weil deine Gefühle und Wahrnehmungen ständig negiert wurden. Vielleicht kennst du Aussagen wie: “Das ist nicht passiert.” “Das war nicht so.” “Du übertreibst.” “Du bist einfach zu sensibel.”
Wenn diese Sätze der Soundtrack deiner Kindheit waren, dann wette ich mit dir, dass sich narzisstische Menschen wie ein roter Faden durch dein Leben ziehen.
Und du fühlst dich dann, auch als Erwachsener, bei solchen Menschen wohl, die dich genauso behandeln. Nicht weil du masochistisch bist, sondern weil eine unbewusste Verknüpfung in deinem Gehirn entstanden ist, wie bei einem Pawlowschen Hund. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun. Dein Nervensystem wurde darauf programmiert. Das ist normal.
Wie durchbrichst du das Muster?
Der erste Schritt ist immer das Bewusstsein. Du musst lernen zu verstehen, was da passiert. Du musst lernen, die Strategie zu durchschauen.
Versuche zu erkennen, wenn jemand dich nicht als Subjekt schätzt, sondern dich zu einem Objekt seiner Welt machen möchte. Achte auf das Wechselspiel. Achte darauf, ob dir jemandem manchmal das Gefühl gibt der klügste Mensch der Welt zu sein und ein anderes Mal das Gefühl, dass du komplett dumm wärst.
Achte darauf, ob jemand deine Grenzen respektiert oder ob jedes Setzen von Grenzen zu einem Drama führt, in dem plötzlich du das Problem bist.
Achte darauf, ob jemand dauernd Erklärungen von dir haben möchte. Narzissten fordern ständig Erklärungen, weil jede Erklärung eine neue Angriffsfläche bietet. Du schuldest niemandem eine Rechtfertigung für deine Grenzen. Sag einfach: “Das funktioniert für mich nicht.” Punkt. Keine Begründung. Keine Diskussion.
Der Weg aus diesem Muster ist nicht einfach. Er erfordert vor allem: Zeit und Geduld mit dir selbst, um alte eingefahrene Überzeugungen aufzubrechen und neue Glaubenssätze zu adaptieren.
Versuche niemals einen Narzissten zu heilen
Und noch etwas Wichtiges: Versuche niemals einen Narzissten zu heilen. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen.
Ein Narzisst wird niemals zugeben, dass er ein Problem hat. Seine ganze Existenz ist darauf aufgebaut, dass er perfekt ist und die anderen das Problem sind.
Mach dir bewusst: Ein Narzisst hat Todesangst vor einem Kontrollverlust. Die Kontrolle zu verlieren ist für ihn eine Art Todeskampf. Und er wird mit allen Mitteln versuchen zu überleben. Seine Böswilligkeit ist quasi ein lateral Schaden, der durch seinen eigenen Überlebenskampf entsteht.
Was ein Narzisst zu dir sagt, ist niemals persönlich gegen dich. Er behauptet das zwar. Aber wie wir wissen, sieht der Narzisst keine Person in dir, sondern ein Objekt, das nicht so funktioniert, wie er will.
Lass dich also nicht zu einem Objekt machen – halte dagegen.
Die drei wichtigsten Punkte, die dir bewusst sein sollten, wenn du mit Narzissten zu tun hast:
- Die Angst des Narzissten ist seine eigene Wertlosigkeit.
- Seine Absicht ist Kontrolle.
- Und sein Werkzeug ist die Objektifizierung.
Alles Gute
Helmut





